Konrad Korek

Aus dem Leben einer Legende

Tag: Marta

Kapitel II – Teil 3: Babytiger müssen das Brüllen noch lernen

 

Giovanni hat gesagt, ich bin mutig. Bestimmt wollte er mich nur trösten und meinte es gar nicht so. Aber er irrt sich! Er hat auch gesagt, er sei nicht mehr der, der er mal war. Auch das ist falsch. Ich habe es doch gesehen. Seine Augen sind vielleicht blasser geworden, aber sie haben nichts an ihrem kraftvollen Ausdruck verloren. Sein zerzaustes Fell ist kein Zeugnis des Alters, sondern eine Urkunde seiner Taten. Und sein langsamer Gang ist der Orden, den die Natur ihm für sein heroisches Leben verliehen hat. Er mag sich äußerlich verändert haben, aber Giovanni ist noch immer derselbe Kater, dem wir alle zu ewigem Dank verpflichtet sind. Und er ist mein Vorbild. Ich will einmal so sein wie er und ich kann es schaffen, denn ich bin mutig.

Ich hatte eigentlich vor, zu meinem versteckten Fisch zu laufen, aber der interessiert mich nicht mehr. Ich will so schnell wie möglich ein Abenteuer finden, um aller Welt zu zeigen, dass eine neue Legende in der Stadt ist. Einem skrupellosen Schurken das Handwerk legen…oder, was auch sonst noch abenteuerlich wäre. Oh ja, ich fühle mich wie neu geboren. In der Nacht hatte ich meistens etwas Angst, gerade in den sehr dunklen Gassen. Aber das ist nun vorbei! Ich stolziere Schritt für Schritt hinein ins Dunkle. Ich sehe nicht viel, hier und da ein paar Umrisse, nichts wovor man sich fürchten müsste.

Ha, was war das? Da kommt etwas. Ich finde mich unter einem kaputten Karton wieder. Nun ja, ich fange schließlich gerade erst an, mutig zu sein und es ist ja bekanntlich noch kein Maestro vom Himmel gefallen. Dieses gruselige – ich meine “spannende” – Geräusch kommt näher. Da sind mehrere Menschen, alles Männchen, glaube ich. Was die wohl so spät hier wollen? Sie bleiben stehen und unterhalten sich. Eigentlich kann ich Menschlich verstehen, aber manchmal kenne ich keines ihrer Wörter. Sie müssen auch so etwas wie verschiedene Sprachen haben. Jetzt zieht einer der Männer ein Messer. „Miau!“, entfährt es mir. Sie scheinen mich zum Glück nicht gehört zu haben. Ich sehe jetzt alles etwas besser, denn meine Augen haben sich an die Dunkelheit gewöhnt. Meine Pupillen sind geweitet. Ein anderer Mann wird ganz hektisch. Ich glaube, er versucht zu fliehen. Jetzt packen sie ihn und drücken ihn nach unten in die Ecke zwischen den Müllcontainer und die Wand. Er jammert. Es klingt, als würde er um sein Leben flehen. Hoffentlich sehen sie mich nicht. Nein! Jetzt haben sie ihm das Messer in den Körper gestoßen. Er krümmt sich, er fängt an zu zappeln, doch sie halten ihn fest. Die Angst scheint langsam aus seinen Augen zu weichen. Für einen Augenblick meine ich noch Enttäuschung in seinem Gesicht zu erkennen. Natürlich, denn enttäuscht wurde ja seine Hoffnung, den nächsten Tag noch zu erleben. Das hat er verstanden. Ein grauenvoller Anblick ist das. Ich bin erstarrt vor lauter Angst. Sie halten ihm den Mund zu und der Mörder zieht das Messer langsam aus dem Körper des Opfers und wischt es an einem Tuch ab. Jetzt ist der Mann am Boden still. Keine Bewegung mehr. Sein Menschenblut tritt langsam aus der Wunde, überflutet aber umso schneller die Gasse. Es ist wirklich so dunkelrot, wie immer erzählt wurde. Die anderen Männer bleiben noch stehen und unterhalten sich leise.

Da hinten kommt noch ein Mann in die Gasse. Aber der sieht ganz anders aus. Klein und viel älter. Er kommt mir bekannt vor. Na klar! Vorhin, kurz bevor ich Giovanni getroffen habe, ging er durch die Stadt. Da war er auch schon allein. Er ist vielleicht der Boss dieser bösen Menschen und sie warten nur auf ihn. Ja, genau! Und er will sich bestimmt nur vergewissern, dass sie seinen Auftrag ausgeführt haben. Ich will hier schnell weg. Ich renne aus dem Karton heraus und stoße gegen eine Mülltonne. Es scheppert laut und ich erschrecke mich. „Miiaauu!“ Oh nein, das haben sie sicher gehört! Ich laufe hinter die nächste Ecke, bleibe dann stehen und will noch einmal kurz in die Gasse spähen.

Der kleine Mann auf der anderen Seite hat zu schleichen angefangen. Er kennt sie wohl doch nicht. Er weiß gar nicht, was da passiert ist! Sie werden ihn sicher auch töten, wenn er sie sieht und das, was sie getan haben. Ein innerer Impuls treibt plötzlich meine Beine an. Ich sprinte los. Ich denke nicht mehr nach. Es passiert einfach. Ich renne auf den Mann zu, mache einen kräftigen Satz und springe ihm fauchend ins Gesicht. Er heult auf. Als ich lande, laufe ich sofort um ihn herum. Er dreht sich zu mir, weg von den Männern hinter dem Container. Sie haben ihn jetzt bemerkt und flüchten. Er konnte sie schließlich noch nicht erkannt haben. „Verschwinde du elendes Mistfiech!“ Dieses Menschlich kann ich verstehen. Ich bleibe aber noch und beschäftige ihn. Er darf den Männern nicht nachlaufen. Er versucht nach mir zu treten, doch ich bin ihm zu schnell. Auf einmal dreht er sich um. Er ignoriert mich und geht in Richtung des Containers, dorthin wo er gleich einen toten Menschen finden wird. Eine ganze Zeit lang steht er da und starrt auf den leblosen Körper. Doch nun wendet er seinen Blick zu mir und starrt mir in die Augen. Ich bin nicht weggelaufen, sondern harre hier aus. Er lächelt jetzt und sagt: „Danke kleiner Held! Du hast mein Leben gerettet.“ Er hat mich „Held“ genannt.

Kapitel II – Teil 2: Die jungen Wilden

Ich verlasse diese muffige Idiotenbude und stelle fest, die Nacht hat sich bereits über diese Welt ergossen. Ich trotte langsam los. Jedes Gelenk schmerzt, das Öl in meinen Gliedern ist längst vertrocknet und mir fehlt die Kraft, irgendeine Form von Ästhetik in meine Bewegungen zu bringen. Die Anderen respektieren mich noch ob meiner früheren Taten. Von Bewunderung ist dennoch längst keine Spur mehr übrig. „Längst“! „Längst“ und „Früher“, diese schadenfrohen und bissigen Worte lassen mich nicht mehr los. Ach, wie sehr verabscheue ich das Alter?! Miiaau! Wer ist denn das? „Leute, macht die Bahn frei! Columbo ist auf dem Weg!“ Schmerzhaftes Gelächter entflieht meiner Schnautze, vorbei an den letzten Zähnen, die ich noch im Maul habe. Ich lache so stark, dass ich sabbern muss. Der Trenchcoat-Mensch da vorn hat wohl eine „Fährte“ aufgenommen. Ich krieg mich nicht mehr ein bei diesem Anblick. Ich bekomme ‘ne Hustenattacke und – spucke Blut. Scheiße. Ich schleife meinen Körper weiter die Straße entlang. „Giovanni, Giovanni! Heee, Giovanni!“ Oh nein! Nein, nein, nein, tausendmal nein!“ „Jetzt warte doch mal Giovanni!“ Es ist Marta. Dieses trottelige Kuscheltier von einem Miezekätzchen fällt fast über seine eigenen Pfoten, als es auf mich zugetrampelt kommt. „Giovanni, ich habe heute dem alten Koch einen Fisch geklaut!“ „Wie hast du das denn gemacht?“, frage ich und klinge dabei fast so, als würde es mich interessieren. „Er hatte den Fisch in einem Sack, den er hinter seinem Restaurant kurz abstellen wollte. Ich habe seine Unaufmerksamkeit kaltblütig ausgenutzt und unbemerkt zugeschlagen.“ „Müll.“ „Was?“ „Das war Müll, Marta. Er hat den Sack nicht kurz abgestellt, sondern im Hinterhof entsorgt.“ „Oh.“ Wir gehen weiter, ohne ein Wort zu wechseln. Nach einer Weile bleibt Marta stehen und blickt nach unten. Ich drehe mich zu ihr: „Was ist?“ „Es…es war nur Müll“, jetzt fängt sie auch noch an zu weinen, „und ich dachte, es sei richtige Beute, die nur ein echter Kater sich schnappen könnte. So ein Kater wie du es bist, Giovanni. Ich kenne alle deine Geschichten. Ich werde nie so sein wie du. Mutig und clever und verwegen, ein Schatten in der Nacht, ein Lichtblitz am Tag, so heißt es immer.“ „Mädchen, du bist mutig“, ich weiß gar nicht, was ich da tue, „du bist doch davon ausgegangen, dass der Koch den Fisch nur kurz dort abgelegt hatte und jeden Moment wiederkommen würde. Und trotzdem hast du dich getraut, den Müllbeutel zu zerreißen und den Fisch herauszuwühlen. Das war mutig.“ „Ehrlich? Findest du, ich bin mutig?“ „Aber ja! Und außerdem hast du jetzt einen Fisch. Das ist weit mehr Abendessen als die paar Kakerlaken, die ich vorhin zwischen den Containern gefunden habe.“ „Wieso isst du Kakerlaken, Giovanni?“ „Weil ich nicht mehr der bin, für den du mich hältst. Ich war es, aber ich bin es nicht mehr. Basta!“ So gehen wir weiter. Wir haben kein Ziel und mir ist auch nicht klar, warum die Kleine noch immer neben mir herläuft. Sie scheint in Gedanken zu sein. Meine Aufmunterungsversuche haben wohl nicht gewirkt. Sie scheint enttäuscht. Plötzlich bleibt sie wieder stehen. „Du, Giovanni?“ „Ja, Marta?“ „Du bist der größte Kater aller Zeiten!“ Mit diesen Worten dreht sie sich um, läuft los und verschwindet in einer Seitenstraße. Bene.

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